Strategie­ gegen Stammtischparolen 

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Stammtisch­parolen: ein Strategie-Guide


Wer mit Stammtischparolen konfrontiert wird, reagiert oft ernüchtert oder gar resigniert. Sollte man daher solchen Gesprächen nicht lieber ausweichen? Man hat ja sowieso keine Chance, regt sich nur auf, riskiert gar eine Eskalation. Doch es gibt zu verschiedenen Situationen eine bewährte Strategie, welche dagegen helfen kann:

Das Parolenspringen nicht mitmachen:
Die Parolenvertreterinnen und -vertreter wechseln von einem Thema zum nächsten, bringen schlagwortartig eine Parole nach der anderen ins Spiel. Das sollte möglichst gestoppt werden. Wer dagegenhalten will, sollte darauf beharren und die Strategie verwenden, beim Thema zu bleiben.

Initiative ergreifen:
Wer Parolen schwingt, befindet sich aller Erfahrung nach sofort in der Offensive. Stattdessen sollten diejenigen, die widersprechen, die Initiative und die Gesprächsführung übernehmen.

Gesprächsregeln herstellen:
Wird es zu laut und gerät alles durcheinander – was in solchen Situationen eigentlich immer der Fall ist –, dann heißt es, Regeln aufzustellen und einzufordern: z. B. sich gegenseitig ausreden zu lassen.

Gezielt nachfragen:
Wer am Stammtisch munter Parolen verkündet, ergeht sich oft in Allgemeinplätzen. Dann sollte sie oder er angehalten werden, mitzuteilen, was er oder sie konkret meint, also Ross und Reiter zu benennen: „Was heißt das genau und im Detail?“; „Welche Personen, auf die sich das Gesagte bezieht, kennst Du?“, „Welche Beispiele kannst Du anführen?“

Zum Zuhören zwingen:
Stammtischparolen werden nicht mit der Absicht verkündet, echte Gespräche zu führen. Wirkliche, ernsthaft geführte Gespräche haben nämlich das Ziel, den Beteiligten zuzuhören, Argumente abzuwägen und diese gegebenenfalls mit der Einsicht aufzunehmen, eine bessere Erkenntnis gewonnen zu haben. So aber funktionieren die Situationen an den Stammtischen nicht. Deshalb sollte die Strategie gefahren werden, um zumindest ansatzweise ein echtes Gespräch herbeizuführen, darauf bestehen, sich gegenseitig zuzuhören.

Keine Belehrung:
Wer belehrt, ruft Abwehr hervor. Wer lässt sich schon gern freiwillig pädagogisieren? Belehrungen wirken überheblich, besserwisserisch, sie führen zu Abschottung.

Nicht moralisieren:
Wer moralisiert, also empört den Zeigefinger erhebt, demonstriert eine tiefere, also bessere Erkenntnis. Unabhängig davon, ob sie oder er tatsächlich eine solche fundierte Einsicht hat, kommt das nicht gut an.

Sich positionieren:
Eine gute Strategie ist es den eigenen Standpunkt mit dem Hinweis auf die Menschenrechte, das Grundgesetz, humanitäre Gebote des Christentums oder anderer Religionen o.Ä. zu begründen. Das zeigt, welche Werte man vertritt und verteidigt. Dies bietet auch ein sicheres Fundament für die eigene Argumentation.

Das „die“ auflösen:
„Die“ Ausländer, „die“ Juden, „die“ Schwulen … -charakteristisch für die Parolen ist ihre umfassende Pauschalität. Deshalb sollte man nachfragen, wer genau gemeint ist: Gehört zu „den“ Ausländern bspw. auch der italienische Gastwirt, die spanische Mitschülerin der Tochter oder der belgische Kollege?

Probleme verdeutlichen:
Allgemeine Verunglimpfungen kommen flott daher; schwer zu beantworten ist hingegen z. B. die Nachfrage: Wie sollte später Deine Rente gesichert werden, wenn nicht durch Rentenbeiträge von „Ausländerinnen“ und „Ausländern“?? Oder: Sollen wir etwa mitansehen, wie anderswo Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer politischen Einstellung gefoltert und ermordet werden?

Widersprüche aufdecken:
Niemand lebt im völligen Einklang mit sich selbst, sicherlich auch nicht diejenigen, die lauthals ihre Parolen von sich geben. Bei allzu viel Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus kann es daher eine Strategie sein, auf den Pullover des Gegenübers zu verweisen, der möglicherweise aus Bangladesch kommt; oder zu fragen, wo die Billigwaren produziert werden, die wöchentlich bei Aldi, Lidl oder Tchibo im Sonderangebot gekauft werden.

Sich an Sokrates erinnern:
Von Sokrates (469 v. Chr. – 399 v. Chr.) stammt die Methode der „Hebammenkunst“ (Mäeutik) – einer Geburtshilfe, die in zielgerichtetem Fragen, Nach- und Weiterfragen besteht. Sokrates verhalf seinen Gesprächspartnern damit zur Einsicht, dass ihre Einstellungen widersprüchlich waren und in die Irre führten. Am Ende durchschauten sie das. Mit dieser Methode kann man auch Parolenverkünderinnen und -verkünder in Widersprüche oder unhaltbare Positionen bringen.

Die Luft herausnehmen:
Steigt die Tonlage und wird der Umgang schroff – was sehr schnell passieren kann, denn es sind intensive Gefühle im Spiel –, dann ist es sinnvoll und eine Strategie, mit einer ablenkenden Bemerkung zur Entkrampfung beizutragen. Einfach auf etwas anderes hinzuweisen, hilft.

Gefühle ansprechen:
Auch Aggressionen sind Gefühlsäußerungen – sie verraten viel von der Lebenssituation und den Bedürfnissen der Person, die sie äußert. Vielleicht tritt in der Heftigkeit eine Angst, ein Bedrohungsgefühl, eine Kränkung zutage. Doch mit Sicherheit ist der Stammtisch ein denkbar ungeeigneter Ort für Therapieversuche. Wer z. B. persönlich wird und mit betont sanfter Stimme fragt: „Wovor hast Du Angst?“ oder „Welches Problem hast Du mit …?“, der hat schon verloren. Denn wer will sich schon ungebeten von irgendjemandem in die Seele schauen und sich gar ein psychisches Problem bescheinigen lassen? Außerdem wäre das die falsche Fährte: Rassismus z. B. ist schlicht und ergreifend menschenverachtend und keineswegs ein entschuldbares psychisches Defizit. Ernst nehmen aber sollte man solche Gefühle durchaus. Vielleicht eröffnet ja die etwas anders ausgerichtete Frage: „Warum regst du dich so auf?“, eine völlig neue Perspektive.

Brücken bauen:
Hinter vielen Parolen steckt durchaus eine „subjektiv erlebte Wahrheit“. Statt zu mauern, kann es in diesen Fällen sinnvoll sein, Brücken zu bauen. Die Lösungsformel hieße dann: „Du hast ja auch Recht, aber sieh doch mal …“ So entsteht eine Beziehung zum Gegenüber und die starre Konfrontation wird aufgebrochen.

Grenzen setzen:
Auch wenn es oftmals gilt, Brücken zu bauen, sind Grenzen zu ziehen. Denn bei Menschenverachtung oder offenem Rechtsextremismus darf es keinen Kompromiss geben. Wer bspw. behauptet, Auschwitz sei eine Lüge, mit dem ist kein Gespräch möglich. Da sollte deutlich benannt werden, was diese Aussage ist: blanker Neonazismus. Dann sollte die Strategie sein, das Gespräch schleunigst zu beenden, das heißt: aufstehen und weggehen.

Die Perspektive wechseln:
Warum so viel Abwehr denjenigen gegenüber, die anders sind, anders leben, anders aussehen, eine andere Herkunft, eine andere Religion haben? Ist da möglicherweise auch Neid im Spiel? Man kann diese Vermutung ansprechen, aber in der Wir-Form (denn es gilt ja, Brücken zu bauen): „Vielleicht sind wir ja nur neidisch auf ihre Art zu leben und ihre Lebenseinstellung?“ Oder man kann auf ein anderes Szenario hinweisen: „Was wäre, wenn man selbst einmal um Asyl bitten müsste?“; „Was wäre, wenn die Nationalsozialisten noch an der Macht wären und wir den Krieg gewonnen hätten?“

Auf die Unentschiedenen achten:
Ein Gespräch ist selten so strukturiert, dass es nur zwei Seiten gibt, entschiedene Pro- und eindeutig erkennbare Contra-Vertreterinnen und -vertreter. Dazwischen befinden sich zumeist noch andere: Indifferente, Abwartende, Dabeisitzende, Unentschlossene. Sie und nicht der harte Kern derjenigen, die bloß ihre Parolen dreschen, sondern die eigentlichen Adressatinnen und Adressaten des Gesprächs. Auf sie kommt es in erster Linie an: Sie sind noch offen und ansprechbar, sie lassen sich noch beeindrucken von der Entschlossenheit, mit der Widersprüche zu den Parolen geäußert werden, und von Argumenten überzeugen.

Authentisch bleiben:
Überzeugungsstärke, Entschiedenheit, Geradlinigkeit und Echtheit beeindrucken. Sie imponieren gerade denjenigen, die selbst ein Autoritätsproblem haben (und ein solches verbirgt sich oft hinter den markigen Sprüchen).

Witz und Ironie einbringen:
Ironie zeigt Absurditäten auf, verdeutlicht Widersprüche und entkrampft. Ein Beispiel: „Jeder Sozialhilfeempfänger hat einen Hund und ein Handy.“ Antwortmöglichkeit 1: „Soll er seinen Hund erschießen?“, Antwortmöglichkeit 2: „Das ist ja toll – wann gehst Du zum Sozialamt?“ Ein weiterer Fall: „Wir brauchen wieder ein Nationalbewusstsein.“ Antwort: „Machst du auch jeden Morgen Flaggenparade in Deinem Garten?“ An den Dadaismus erinnert folgender Wortwechsel: „Deutschland den Deutschen.“ Antwort: „Und Pizza den Pizzen.“ Allerdings ist Vorsicht geboten: Zynismus ist hier nicht gemeint, er verletzt und verschärft die Situation.

Ansprüche reduzieren:
Man muss wissen, dass die Einstellungen, die zu den Parolen führen, zum Kontinuum einer Lebensgeschichte gehören. Die zum Ausdruck gebrachten Vorurteile und Zerrbilder haben sich diese Menschen über Jahre hinweg angeeignet. Die Konfrontations-Strategie mit einer Gegenposition ändert da zunächst oft wenig. Denn häufig gilt: „Was ohne Argumente geglaubt wird, kann auch nicht mit Argumenten widerlegt werden.“ In diesem Satz steckt mindestens ein plausibler Kern. Dahinter steht nämlich die Erkenntnis, dass Parolen nicht zuletzt auf bestimmten psychosozialen Bedingungen und Faktoren beruhen. Für diese sind nicht diejenigen verantwortlich, die dagegenhalten.

Die langfristige Wirkung beachten:
Ein Gespräch ist noch nicht vorbei, wenn die Begegnung formal beendet ist. Das Gesagte wirkt nach, gerade wenn – siehe oben – der Widersacher bzw. die Widersacherin mit Authentizität überzeugt hat. Aus vielerlei Gründen (z. B. der Angst vor einem Gesichts- oder Prestigeverlust) werden während des Gesprächs oftmals noch keine Zugeständnisse gemacht. Aber vielleicht verknüpfen sich die gehörten Worte Wochen oder Monate später mit zwischenzeitlich hinzugekommenen Erfahrungen und entfalten schließlich doch noch eine Wirkung.

 

Ist das alles zu viel Strategie? Keine Sorge, auswendig gelernt werden sollen diese Empfehlungen nicht. Aber wer sich auf Gespräche mit Parolenverkünderinnen und -verkündern einlässt, der wird merken, dass Widerspruch gelingen kann. Und nach mehreren Auseinandersetzungen kommen die vorgestellten Reaktionsmöglichkeiten dann wie von selbst.

Klaus-Peter Hufer

 

 

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